Welche Bargeldabschaffung!?

Dies ist die Zusammenfassung eines Twitter-Threads von Professor Martin Selmayr. Gewidmet allen, die Panik schüren vor der Bargeldabschaffung, oder die aus Angst vor denen die Stimmung damit machen das Bargeld in der Verfassung verankern wollen. Spoiler: Das Bargeld kann nicht abgeschafft werden und braucht deshalb auch nicht in der Verfassung verankert werden. Das garantiert die EU, die ausgerechnet die abschaffen wollen, die die meiste Angst vor der Bargeldabschaffung schüren!

1.Der Euro unterliegt als einheitliche Währung in der Europäischen Währungsunion allein der Gesetzgebungszuständigkeit der EU: Seit 1.1.1999 ist die Währung in den Euro-Teilnehmerstaaten der Euro, der als einheitliche Währung die bisherigen nationalen Währungen ersetzt hat. Die den Euro betreffende Währungspolitik und das den Euro regelnde Währungsrecht liegen heute in der ausschließlichen Zuständigkeit der EU (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c sowie Artikel 127 bis 133 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU). Ausschließliche Zuständigkeit bedeutet, dass in Fragen betreffend den Euro nur die EU gesetzgeberisch tätig werden und verbindliche Rechtsakte erlassen darf (Art. 2 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU). Der Übertragung der Währungssouveränität auf die EU hat Österreich bei seinem Beitritt zur EU am 12.6.1994 per Volksabstimmung, die eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bewirkt hat, zugestimmt.

2.Die EU garantiert bereits seit 1999 das Bargeld: Anders als die meisten EU-Staaten gewährleistet die EU durch vorrangiges EU-Recht das Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel. Art. 128 Abs. 1 Satz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU legt auf EU-Verfassungsebene (nur änderbar, wenn alle 27 EU-Staaten zustimmen und diese Änderung ratifizieren) fest, dass die von der EZB und (mit ihrer Genehmigung) von den nationlen Zentralbanken ausgegebenen Euro-Banknoten im Euroraum die einzigen Banknoten sind, die „gesetzliches Zahlungsmittel“ sind. Ferner bestimmt die Euro-Verordnung 974/98 in ihrem Art. 11 Satz 2, dass auch die von den Mitgliedstaaten ausgegebenen, auf Euro und Cent lautenden Münzen gesetzliches Zahlungsmittel sind (begrenzt pro Zahlung auf 50 Münzen). Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat durch Urteil vom 26.1.2021 (verb. Rs. C-422/19 u. C-423/19, Dietrich und Häring/Hessischer Rundfunk, EU:C:2021:63, Randnr. 56) bestätigt, dass nach vorrangigem EU-Recht der „Grundsatz“ gilt, „dass es in der Regel möglich sein muss, eine Geldleistungspflicht mit Euro-Bargeld zu erfüllen.“ Der Status der Euro-Banknoten und Euro-Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel erfordere „eine grundsätzliche Annahme von Euro-Bargeld“. Für jeden Schuldner müsse daher die Möglichkeit gewährleistet sein, eine Geldleistungspflicht in der Regel mit Euro-Bargeld zu erfüllen. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur möglich, wenn sie einem öffentlichen Interesse dienen und die grundsätzliche Möglichkeit unberührt lassen, erforderlichenfalls (z.B. wenn der Schuldner über keine elektronischen oder digitalen Zahlungsmöglichkeiten verfügt) auch in Euro-Bargeld zu bezahlen. Der EuGH urteilte explizit (Randnr. 62), dass das EU-Recht „einer Regelung entgegensteht, die die rechtliche oder faktische Abschaffung des Euro-Bargelds bezweckt oder bewirkt, indem sie insbesondere die Möglichkeit untergräbt, eine Geldleistungspflicht in der Regel mit solchem Bargeld zu erfüllen.“

3.Ein EU-Mitgliedstaat ist nach Auffassung des EuGH (Randnr. 56) durch die ausschließliche Zuständigkeit der EU für den Euro und das Euro-Bargeld nicht daran gehindert, in Ausübung seiner eigenen Befugnisse, wie etwa der Organisation seiner öffentlichen Verwaltung, eine Maßnahme zu erlassen, die diese Verwaltung zur Annahme von Barzahlungen seitens der Bürger verpflichtet (also z.B. die Zahlung bestimmter Steuern und Abgaben in bar zu ermöglichen) oder auch aus einem Grund des öffentlichen Interesses eine Ausnahme von dieser Verpflichtung für hoheitlich auferlegte Zahlungen einführt, vorausgesetzt, es bleibt grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, erforderlichenfalls (z.B. wenn der Schuldner über keine elektronischen oder digitalen Zahlungsmöglichkeiten verfügt) auch in Euro-Bargeld zu bezahlen.

4.Da sich das individuelle Zahlungsverhalten durch die Digitalisierung fortschreitend verändert – 2022 zahlten bereits 41% der Menschen in der EU per Karte, App oder Überweisung, im Vergleich zu 21% 2016 – hat die Europäische Kommission am 28.6.2023 vorgeschlagen, das EU-rechtlich garantierte Euro-Bargeld durch einen digitalen Euro zu ergänzen, um den Euro auch im digitalen Zeitalter für die Zukunft abzusichern. Weltweit arbeiten bereits 114 Staaten an einem solchen digitalen Zentralbankgeld. Da in der EU das Euro-Bargeld durch vorrangiges EU-Recht geschützt ist, kann der neue digitale Euro nur als zusätzliche Zahlungsmöglichkeit ergänzend neben das fortbestehende Euro-Bargeld treten. Die Kommission hat zugleich am 28.6.2023 vorgeschlagen, den EU-rechtlich seit 1999 bestehenden Schutz des Euro-Bargelds als gesetzliches Zahlungsmittel durch eine eigene Euro-Bargeld-Veordnung weiter zu verstärken. Der Grundsatz, dass Geldleistungspflichten mit Euro-Bargeld erfüllt werden können, wird in Art. 4 der Euro-Bargeld-Verordnung bekräftigt; Ausnahmen sind in Art. 5 für wenige, eng definierte Fälle definiert (z.B. wenn es offenkundig unverhältnismäßig wäre, eine Euro-Banknote mit hohem Nennwert als Zahung für einen kleinen Geldbetrag anzunehmen); https://economy-finance.ec.europa.eu/system/files/2023-06/COM_2023_364_1_EN_ACT_part1_v6.pdf…. Die Euro-Bargeld-Verordnung muss noch vom Europäischen Parlament und dem EU-Ministerrat (bestehend aus den Finanzministern der 27 EU-Mitgliedstaaten, die mit qualifizierter Mehrheit entscheiden) angenommen werden.

5.Europarechtliches Fazit zur Bargeld-Diskussion: Da das Euro-Bargeld durch vorrangiges EU-Recht bereits seit 1999 geschützt ist, kann eine nationale Regelung (sofern sie überhaupt europarechtlich zulässig wäre) inhaltlich zum Schutz des Euro-Bargeldes wenig Neues beitragen; sie könnte allenfalls deklaratorischer Natur sein und etwa wie folgt lauten: „Im Einklang mit dem vorrangigen Recht der Europäischen Union ist das Euro-Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel geschützt“. Wer das Euro-Bargeld in der Praxis stärker absichern möchte, sollte bei der Verabschiedung der Euro-Bargeld-Verordnung mitarbeiten, welche zahlreiche hilfreiche Konkretisierungen des EU-rechtlichen Begriffs des „gesetzlichen Zahlungsmittels“ enthält. In der Euro-Bargeld-Verordnung ist auch vorgesehen (Art. 8), dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass auf ihrem gesamten Territorium, in all ihren Regionen, in Städten wie im ländlichen Raum, ausreichender und wirksamer Zugang zum Euro-Bargeld besteht. Für die vielen Menschen, die in bar bezahlen möchten, ist neben der währungsrechtlichen Grundsatzentscheidung, dass das Euro-Bargeld seit 1999 durch EU-Recht als gesetzliches Zahlungsmittel geschützt ist, ebenso die Verfügbarkeit von Geldautomaten/Bankomaten in ihrer näheren Umgebung von zentraler Bedeutung. Eine entsprechend verlässliche und flächendeckende Grundversorgung in enger Zusammenarbeit mit der Kreditwirtschaft sicherzustellen, ist in der Tat eine wichtige Aufgabe für die nationalen Regierungen und Parlamente.

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