7.8.2023 aktualisiert 20.8.2024
Die Formulierung „ Verhalten in der Öffentlichkeit, das einen groben Verstoß gegen die allgemein anerkannten Grundsätze der guten Sitte bildet“ nennt sich im Oberösterreichischen Polizeigesetz auch „Anstandsverletzung“. Was würde wohl die Patriotin in der Résistance Marlene Dietrich dazu sagen, die für sich in Anspruch nahm aus Anstand Antifaschistin geworden zu sein, wenn sie lesen könnte, dass es den Anstand verletzt, wenn man Nazis „Nazis“ nennt. Und nicht genug damit, dass ausgerechnet in Österreich die Polizei dieser Pervertierung des Anstandsbegriffs Geltung verschaffen will!
Vor wenigen Tagen sagte der liberale ehemalige deutsche Innenminister Gerhart Baum in Bezug auf die AfD, der die FPÖ inhaltlich und programmatisch wie ein Ei dem anderen gleicht: „ Das sind dieselben Typen, die wir damals bekämpft haben. Warum reden wir immer um den heißen Brei herum? Es sind Neonazis“. Einen solchen Satz auszusprechen ist in Österreich undenkbar! Man hätte sofort ein Dutzend Klagen am Hals. Besonders bei Leuten wie Kickl hat man den Eindruck, dass es ein Nebenverdienst-Geschäftsmodell ist. Aber warum, fragt man sich, macht sich die Polizei zum Geldeintreiber?
Die Entstehung der Identitären in Frankreich war maßgeblich von der neofaschistischen CasaPound-Bewegung beeinflusst und sie sind eng vernetzt mit rechtsextremen Medien, polnischen und ungarischen Neonazis und dem ostdeutschen „Institut für Staatspolitik“, in Deutschland gelten sie als gesichert rechtsextrem, ihr Logo wurde verboten und nun firmieren sie als „Die Österreicher“. Sind sie deshalb keine Nazis mehr? Oder weil sie einen multiethnischen Rassismus propagieren? „Remigrationstour“ nannten die Identitären ihre Hetz-Tour. Remigration heißt nichts anderes als Deportation. Sie sind definitiv Faschisten und wie groß dabei Antisemitismus geschrieben wird, was Faschisten wissenschaftlich zu Nazis qualifizieren würde, kann man dahingestellt lassen. Der Begriff „Nazi“ ist eine im normalen gesellschaftlichen Umgang inzwischen so verbreitete Bezeichnung für Rechtsextremisten, besonders inflationär von Russland missbraucht um andere zum Feind zu brandmarken, dass es keine Beleidigung mehr sein kann, wenn ein Rechtsextremist, erst recht ein Teilnehmer einer Identitärendemo, als Nazi bezeichnet wird. Auch die Nazis der 30er und 40er Jahre waren nicht homogen in ihrem Weltbild. Es ist juristisch gesehen eine wahre Tatsachenbehauptung. Und es ist Realsatire der Realsatire, wenn strafend Maulschellen verteilt werden, für den Hinweis, dass ein Nazis sich bei von ihnen gehassten und gehetzten Ausländern verköstigt. Wer das bestrafen will, dem fehlt vor dem Hintergrund der deutschen und österreichischen Geschichte wirklich jeder Anstand. Die Steyrer Polizei sollte sich also besser selbst einen Strafbefehl ausstellen!
Nachtrag
Einer Richterin am Linzer Verwaltungsgericht ist es zu verdanken, dass diese Farce ein gutes Ende gefunden hat. Sie hat ein Stück weit dem Eindruck entgegengewirkt, dass Gerichte in Österreich nicht nur bei Verletzungen des Verbotsgesetzes regelmäßig unerklärliche Milde walten lassen, sondern auch immer zu Gunsten der Polizei entscheiden. Mit ihrem Urteil in dieser Sache hat sie klar gemacht, dass die Steyrer Polizei Verwaltungsstrafen nicht so unbegrenzt wie ihre Auslegung des Versammlungsrechts als Ausdrucksmittel der politischen Gesinnung missbrauchen kann. Dass die Steyrer Polizei sich in lächerlicher Weise juristisch verrennt, wenn sie prodemokratische Demonstranten mit Anstandsverletzungen schikanieren will, während sie Nazis und Covidioten einen Demofreibrief bis Ende 2025 ausstellt. Auf Kosten der Steuerzahler! Insbesondere, wenn sie – wie vor Gericht zur Sprache kam – dem Nazi noch eine Rechtsberatung angedeihen lässt, dass es für ihn risikoloser und billiger ist eine Anzeige wegen Anstandverletzung zu erstatten als eine Beleidigungsklage zu erheben. Im Kern hat die Richterin abschließend geklärt, ob es eine Anstandverletzung ist, wenn man über ein Orga-Team-Mitglied der Steyrer „Spaziergänger“, bei denen unter anderem auch Küssel in Erscheinung trat, und Teilnehmer einer „Remigrations“-Veranstaltung von Sellner, nur für ihn und die angesprochene Person vernehmbar, sagt, dass „der Nazi einen Döner kauft“. Was wichtiger wäre und bedauerlicherweise nicht geklärt wurde, ist, ob man in Österreich einen Nazi öffentlich vernehmbar einen Nazi nennen darf, oder ob das noch oder schon wieder verboten ist. Das wäre, erst recht im Hinblick auf die Geschichte, so absurd, dass es weit über die österreichischen Grenzen hinaus mehr als peinlich wäre! Und symptomatisch für das österreichische Demokratieverständnis.