Es wäre verwunderlich, wenn auf dem Steyrer Friedhof neben zahlreichen NS-Opfern, die aus den Münichholzern Außenlagern und Mauthausen-Gusen zum Kremieren nach Steyr transportiert wurden, nicht auch eine ganze Reihe von Personen begraben wären, die Täter waren. Schließlich arbeitete ein großer Teil der Steyrer Bevölkerung in den 40er Jahren bei der Steyr-Daimler-Puch AG, dem größten oberösterreichischen Rüstungskonzern, mit dessen Produkten die Nazis bzw. der Direktabnehmer SS nicht nur in ganz Europa mordeten, sondern der auch zum großen Teil mit Zwangsarbeitern und Konzentrationslager-Häftlingen produzierte. Auch Mitglieder der Wachmannschaften aus SS-Totenkopfverbänden könnten darunter sein. Der größte Arbeitgeber in der Region lockte zusätzlich viele Menschen nach Steyr, so dass die Stadt mit dem Wohnungsbau kaum hinterherkam. Dokumente wie der Werkruf, Ratsprotokolle aber auch Interviews mit Arbeitern aus dieser Zeit und der Zeit nach dem Krieg zeigen, dass offenbar die wenigsten von ihnen Gewissensprobleme beim unmenschlichen Umgang mit den KZ-Häftlingen hatten. Egal auf welcher Betriebsebene.
Ein Name auf dem Stein eines sehr gepflegt aussehenden Grabes sticht jedoch besonders hervor. Ein enger Freund Hitlers, der diesen sogar mit Vornahmen anreden durfte. 1922 Nationalsozialistische Arbeiterjugend Österreichs, 1928 NSDAP, dann SA, SS, Reichsstatthalter des Oberdonau-Gaus und schließlich Reichsverteidigungskommissar. Nebenbei Aufsichtsrat der Steyr-Daimler-Puch AG. Schon kurz nach dem Anschluss verkündete er, dass man mit der Errichtung eines Konzentrationslagers in Mauthausen „ausgezeichnet“ werde. Später lies er sich dort gemeinsam mit Kaltenbrunner und Himmler die Mordmethoden des KZs demonstrieren. Gemeint ist der Steyrer August Eigruber.
Er war zuständig und mitverantwortlich für den KZ-Komplex Mauthausen-Gusen und stellte das Schloss Hartheim für die Euthanasiemorde der Aktion T4 zur Verfügung. Kurz bevor er selbst vor den Alliierten nach St. Pankraz floh, ließ er in den letzten Kriegstagen noch zahlreiche „ehrlose Fahnenflüchtige“ erschießen oder aufhängen. Im Mauthausenprozess in Dachau wurde er schließlich selbst zum Tod durch den Strang verurteilt.
Seine letzten Worte: „Ich sterbe für Deutschland, der Herrgott behüte meine Angehörigen.“ Das hat dieser offenbar getan. Einer seiner Söhne, der Karriere in der FPÖ machte, starb erst vor wenigen Jahren und seine Frau Johanna laut Grabstein erst 1981. Trotzdem stach der Stein offenbar jemand ins Auge, der wenig von der Schwamm-drüber-Mentalität hält und mit ein paar Fotos deutlich sichtbar machen wollte, an wen mit dieser nicht gerade bescheidenen Grabstelle trotz eines falschen Todesdatums erinnert wird.
Ist es Ironie des Schicksals oder Zynismus, dass, egal wo seine Asche oder Gebeine ruhen, die Opfer nicht fern sind? Es ist unklar, ob sie im Spöttinger Friedhof an seinem Hinrichtungsort Landsberg am Lech liegen, wo neben ca. 140 Kriegsverbrechern auch ca. 140 NS-Opfer liegen, oder in Steyr, wo der jüdische Friedhof nur einen Steinwurf weit entfernt ist. Auch möglich, ja wahrscheinlich ist sogar, dass er von Landsberg nach Heilbronn überführt wurde. Auf jeden Fall ist mehr als fraglich, ob wirklich ein paar Moleküle von Eigruber unter der Grabplatte auf dem Taborfriedhof zu finden wären. Was die Sache eigentlich noch schlimmer machen würde. Dann wäre der Stein, wie das umstrittene Kreuz für Alfred Jodl auf Frauenchiemsee, kein Grabstein, sondern eine Art Denkmal für einen der übelsten Verbrecher der NS-Zeit. Erst seit 2019 erinnern ein paar Cortenstahlstelen namentlich an 84 in Steyr eingeäscherte KZ-Opfer. Der Rest der über 800, nach manchen Quellen auch 1000 Opfer liegt namenlos auf dem Steyrer Friedhof. Nicht weit entfernt vom Grabstein mit dem Namen eines für ihren Tod Mitverantwortlichen.
Es ist gut, dass seit dem letzten Jahr endlich auch in Steyr Stolpersteine für NS-Opfer verlegt werden. Sie sollen und müssen als Warnung verstanden werden, dass sich nie wiederholen darf was damals geschah. Aber jede Warnung und Mahnung bleibt nur ein halber Schritt, wenn man sich nicht auch der Auseinandersetzung mit den Taten und Tätern stellt. Auch und gerade, wenn diese aus der eigenen Stadt oder sogar der eigenen Familie kamen. So schmerzhaft das auch sein mag. Nur dann kann man verstehen und verhindern.
Und eine Stadt, in der nicht nur Hitler die Schule besuchte, sondern die die Waffen für zwei Weltkriege produziert hat – einer von Österreich begonnen und der zweite von einem Österreicher – sollte kollektiv etwas bewusster mit der Vergangenheit umgehen. Und die Kirche sollte zwei Fragen beantworten: Warum dieses Grab verlängert wurde und wer es unterhält. Wären es nicht Angehörige, sondern die Stadt oder die FPÖ, so wäre das ein doppelter Skandal.
Links und Quellen:
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dachauer_Kriegsverbrecherprozesse
https://www.deutsche-biographie.de/dbo036178-5.html
https://www.doew.at/cms/download/2sbg8/mauth_freund.pdf
https://collections.ushmm.org/search/catalog/irn1001183
https://ww2gravestone.com/people/eicke-eigruber-august/
https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/gefaengnis-landsberg-am-lech-256
https://www.sonntagsblatt.de/artikel/bayern/kriegsverbrecher-grab-fraueninsel
https://www.youtube.com/watch?v=rTjUan8QY9g