Sympathy for the devil

Ein Tweet von Robert Misik hat mich heute daran erinnert, dass ich mir vor einigen Tagen ein, wie ich finde, sehr symbolträchtiges Bild abgespeichert habe, um etwas dazu zu schreiben. Er bezog sich auf die in der Tat unappetitliche Ehrung eines Veteranen der SS-Division Galizien in Anwesenheit von Trudeau und Selenskyj. Ich bin mir nicht sicher, ob die beiden genau wussten, wen sie da mit beklatscht haben. Offenbar wusste nicht einmal der kanadische Unterhausvorsitzende, der sich inzwischen entschuldigt hat, wen er da unwissentlich zur Ehrung vorgeschlagen hat. Auf jeden Fall war es ein schwerer Fehler für das Image vor allem Selenskyjs und der Ukraine.
Dass allerdings solche Nazibezüge auf einen für UkrainerInnen schwer verständlichen fruchtbaren Boden russischer Propaganda fallen, hat wohl mit einem grundsätzlich anderen Verständnis der Nazis und ihrer Unterstützung in der ukrainischen Geschichte zu tun.
In Westdeutschland wurde die eigene Schuld so gründlich aufgearbeitet, dass dabei die russischen Verbrechen völlig unter den Tisch gekehrt wurden. Der russische Überfall auf Polen, Katyn, russische Konzentrationslager, der Holodomor, all das waren Dinge über die man selten mal etwas von Historikern hörte, in der Schule gar nichts. In Ostdeutschland, wo per staatlicher Definition alle schon immer Antifaschisten waren und die russischen Täter nebenan in der Kaserne saßen, erst recht nicht. Und in Österreich war man sowieso Opfer und praktischerweise völlig neutral. Immer schon. Auch die Kaltenbrunners, Göths und Eigrubers.
Wie können wir es da verstehen, dass sich ein frommer Jude und ein Soldat mit Banderafahne und Wolfsangel auf dem Ärmel in den Armen liegen? Wahrscheinlich sogar beide Juden, wie der Davidstern auf der Banderafahne vermuten lässt. Wie kann es sein dass im Asow-Bataillon Rabbis das Brot brechen mit Kämpfern, die ein Hakenkreuz auf ihrem Helm haben? Wie kommt es, dass selbsterklärte Nazis in der Ukraine nicht einen Hauch antisemitisch sind? Dass das Land von einem Juden regiert wird und einen muslimischen Verteidigungsminister hat? Dass es trotz Banderakult und SS-Reenactment die wenigsten antisemitischen Straftaten in Europa gab, bis russische Provokateure anfingen Synagogen zu beschmieren, wie ukrainische Rabbis 2014 berichteten?


Ich habe vieles von Andreas Umland und Anton Shekhovtsov und in ukrainischen Medien dazu gelesen. Und ich habe einer ukrainischen Familie die Tränen in die Augen getrieben, als ich versucht habe diesen Fragen auf den Grund zu gehen. Der Unterschied in der Wahrnehmung des Nationalsozialismus, oder besser der ukrainischen Beteiligung an ihm, liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass bei uns die Sowjetunion (u.a.) als Erretter vom Nationalsozialismus gesehen wird, in der Ukraine dagegen die Nationalsozialisten als Erretter von den Sowjets. Das verstehen wir vielleicht noch, aber wir können es nicht nachfühlen. Die Zahlen variieren stark, aber nach manchen Schätzungen starben Anfang der 30er Jahre mehr UkrainerInnen am von Stalin vorsätzlich herbeigeführten Hungertod, als die Nazis Juden ermordeten. Dieses Verbrechen war der emotionale Unterbau für den Unabhängigkeitskampf, den Bandera glaubte mit Hilfe der Nazis führen zu können, bevor er eines Besseren belehrt wurde. Und der Ukraine, die jetzt von den gleichen Tätern noch einmal mit einem völlig entmenschlichten, genozidalen Krieg überzogen wird, wird von den meisten im Westen die Anerkennung verweigert, dass sie auch für unsere Freiheit und unsere Demokratie kämpft und zur Ader gelassen wird. Das einzige was sie durchhalten lässt ist also ihre Souveränität. Und das einzige Heldennarrativ, dass sie für den Kampf um ihre Souveränität hat, ist für nicht wenige UkrainerInnen Bandera. Da verwundert es nicht, wenn jedes Symbol, das wir mit Naziverbrechen assoziieren, verbissen mit historischen Argumenten verteidigt wird. Und das mit guten Argumenten, die fast sämtliche Narrative der russischen Propaganda widerlegen, denn die Symbole sind älter und wurden nur eben auch von den Nazis verwendet. Leider wird dabei nicht bedacht, was dieses Festhalten für das Image der Ukraine bedeutet.
Man sollte sicher nicht alles schönreden, aber die Ukraine wurde von Faschisten im Kreml überfallen, die sich verhalten, wie sich Faschisten verhalten. Barbarisch. Das sind die Feinde der Freiheit und der Demokratie! Vielleicht könnte die Ukraine mal ein Problem mit den „Banderowski“ bekommen, wenn sie als Demokratie in Frieden leben kann. So wie wir möglicherweise ein Problem mit Muslimen haben werden, falls die Faschisten bei uns nicht mehr das Hauptproblem sind. Allerdings glaube ich das bei der Ukraine eher nicht. Aktuell steht es uns jedenfalls ganz schlecht zu Gesicht, die UkrainerInnen über Nazis zu belehren! Die Partei Swoboda lag bei den letzten Wahlen bei unter einem Prozent. Die FPÖ wird dagegen wahrscheinlich nächstes Jahr den Kanzler stellen und in mehreren deutschen Bundesländern ist die Faschistenpartei AfD aktuell die stärkste Partei. Vielleicht kehren wir doch besser erst einmal vor der eigenen Tür!



Titelbild: Das von russischen Bomben beschädigte Holocaust-Mahnmal in Drobitsky Yar in der Ukraine

Video: Oktoberfest im sächsischen Bautzen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert